3. Aufgaben und Zielsetzung der GIESSENER HILFE

3.1. Grundzüge der Beratungsarbeit

Die GIESSENER HILFE versteht sich als psychosoziale Beratungsstelle für Opfer und für Zeugen von Straftaten mit niedrigschwelligem Angebot. Als Anlauf- und Clearingstelle leisten wir Krisenintervention, vermitteln gegebenenfalls weiter an andere Einrichtungen oder führen unter Berücksichtigung unserer freien Kapazität auch längerfristige Beratungen oder Psychotraumatherapien durch. Wir setzen mit unserem Hilfsangebot an den speziellen Erfordernissen des jeweiligen Einzel­falls an.

Unser vorrangiges Ziel ist es, den Ratsuchenden Unterstützung und Beistand bei der Bewältigung ihrer Situation anzubieten, mögliche Perspektiven zur Überwindung der Situation gemeinsam zu besprechen und sie gegebenenfalls zu eigenem produktiven Handeln anzuregen. Dabei hat die schrittweise Wiedererlangung des seelischen Gleichgewichts der Betroffenen Priorität vor allen anderen Maßnahmen. Unsere Unterstützung hat reinen Angebotscharakter. Opfer oder ZeugInnen dürfen nicht bedrängt werden.

Die psychosoziale Situation der Opfer von Straftaten ist in der Regel gekenn­zeichnet durch Rückzug, Scham und Einsamkeit. Der Schritt, von sich aus einen Ansprechpartner zu suchen, fällt den Betroffenen häufig nicht leicht. Folgende niedrigschwellige Prinzipien unserer Beratungsarbeit sollen den Zugang so weit wie möglich erleichtern:

  • Vertraulichkeit, die BeraterInnen stehen unter Schweigepflicht;
  • Parteilichkeit für Belange der Opfer;
  • Auf Wunsch Zusicherung von Anonymität;
  • Terminvergabe möglichst ohne Wartezeit, mindestens aber innerhalb einer Woche;
  • Besetzung der Beratungsstelle an fünf Wochentagen;
  • Zentrale Lage der Beratungsräume;
  • Das Beratungsangebot ist nicht an bestimmte Voraussetzungen gebunden (z.B. Geschlecht, Konfession, Stellen einer Strafanzeige, Mitgliedschaft o.ä.). Allein die subjektive Betroffenheit ist ausschlaggebend;
  • Die Betroffenen können wählen, ob sie von einem Mann oder von einer Frau beraten werden wollen;
  • Die Beratung ist kostenlos

 3.1.1. Fachlichkeit

Opferberatung sollte von qualifizierten, professionellen Fachkräften geleistet werden, da in diesem Fachbereich die Gefahr von Fehlverhalten sehr groß ist. Unerlässlich für qualifizierte Opferberatung ist Fachwissen über Hintergründe der Opferproblematik und über Traumatisierung, über Krisenmaßnahmen und weitere Hilfsangebote.

Darüber hinaus verlangt der Umgang mit traumatisierten Menschen nicht nur Einfühlungsvermögen, sondern auch professionelle Distanz. Damit ist gemeint, dass neben einer empathischen Haltung auch eine Fähigkeit zur Abgrenzung in der Beziehung zu den Ratsuchenden eine wichtige Voraussetzung ist, um nicht selbst in die Rolle des Hilflosen zu geraten (indirekte Traumatisierung). Deshalb kommt der Aus- und Fortbildung aller Personen, die Opfer zu betreuen und zu beraten haben, große Bedeutung zu.

Die BeraterInnen bei der GIESSENER HILFE sind ausgebildete Diplompäda­gogInnen und PsychologInnen und verfügen über eine mehrjährige, abgeschlossene therapeutische Zusatzausbildung mit Selbsterfahrungsanteilen sowie über mehrjährige Berufserfahrung in anderen sozialpädagogischen Feldern. Sie haben sich zusätzlich spezielle Kenntnisse und Fertigkeiten im Umgang mit den psychosozialen und juristischen Aspekten der Opferlage erworben. Im Vordergrund steht dabei die Beschäftigung mit der Verarbeitung traumatischer Erfahrungen und der Entstehung und Bearbeitung der posttraumatischen Belastungsstörung. Hierzu finden u.a. bei namhaft führenden Fachleuten (z.B. Prof. Dr. Carlo Mittendorf, Dipl. Psychologe und Psychotherapeut, Leiter des Instituts für Psychotrauma in Utrecht, NL) regelmäßig Fortbildungsseminare statt.

Zur Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der fachlichen Qualifikation und zur notwendigen Entlastungsmöglichkeit für uns OpferberaterInnen ist die Teilnahme an regelmäßiger Fall- und Teamsupervision sowie jährlich mehrtägigen Fortbildungsmaßnahmen unerlässlich.

3.1.2. Erstgespräch

Das Erstgespräch mit dem Klienten ist von entscheidender Bedeutung, da hier wichtige Orientierungen und Klärungen sowohl für den Berater, als auch für den Klienten stattfinden.

Eher selten handelt es sich bei unseren KlientInnen um Fälle ganz unmittelbarer Krisenintervention direkt nach der Straftat. Dann können erste Schritte in stützenden Maßnahmen bestehen oder dem Unterbringen an einem geschützten, sicheren Ort, z.B. in einem Frauenhaus. In der Regel sind günstigenfalls einige Tage, manchmal auch ein paar Wochen vergangen, bis die Betroffenen die GIESSENER HILFE aufsuchen.

Zunächst geht es darum, sich ein Bild von der betroffenen Person und ihrem Anliegen, dem jeweilig erlittenen Delikt und den sich daraus ergebenden Fragen und Problemen zu machen. Daher ist es notwendig, Bedingungen und Voraussetzungen zu schaffen, die es ermöglichen, in einer geschützten und angstfreien Atmosphäre sich der Erfahrung der Opferwerdung zuwenden zu können.

Besonders wichtig hierfür ist der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Berater und Klient. Wir bemühen uns, dem Klienten offen, zugewandt, akzeptierend und wertschätzend zu begegnen, um die Grundlage dafür zu schaffen, dass er für weitere Hilfe offen wird. Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf die Erlebnisinhalte des Klienten und geben diesen Raum. So wird es dem Opfer möglich, das Tatgeschehen und die damit verbundenen Gefühle, Erfahrungen und Auswirkungen zuzulassen und zu benennen.

Im Laufe des Erstkontakts versuchen wir den KlientInnen zu vermitteln:

  • dass sie selbst die Inhalte der Gespräche vorgeben
  • dass ihre Gefühle und inneren Erlebnisinhalte, ihre Bewertungen und Empfindungen im Mittelpunkt der Beratung stehen
  • dass der Berater ihnen die zur Verfügung stehenden Hilfsangebote nennt
  • dass sie über alle weiteren Verfahrensschritte selbst entscheiden
  • dass der Berater ihnen hilft, die für sie richtige Lösung zu finden
  • dass alle geäußerten Informationen vertraulich behandelt werden und der Berater an die Schweigepflicht gebunden ist.

 Im Verlauf des Gesprächs wird dann je nach individueller Situation abgeklärt, welche Erwartungen der jeweilige Klient an den Berater hat und welche Unterstützung ihm dieser anbieten kann oder ob gegebenenfalls eine Weitervermittlung an eine andere Institution sinnvoll ist.

Am Ende des Erstgesprächs sollten konkrete Vereinbarungen über den weiteren Verlauf der Beratung oder über das mögliche weitere Vorgehen des Klienten getroffen werden. Je nach Lage ist es hilfreich, den Ratsuchenden Sachinfor­mationen an die Hand zu geben, wie z.B. Telefonnummern, Broschüren etc..

3.2. Konkrete Hilfsangebote

3.2.1. Informieren über rechtliche und finanzielle Möglichkeiten

Sowohl in einmaligen als auch in längerfristigen Beratungskontakten besteht für Opfer nach einer Straftat ein Informationsbedarf zu rechtlichen und finanziellen Fragen. Wir bieten keine Rechtsberatung, informieren aber allgemein über mögliche Konsequenzen einer Strafanzeige, über den Ablauf eines Strafverfahrens, über Teilhaberechte des Opfers im Strafverfahren, wie z.B. die Möglichkeit der Nebenklage und über die Bedingungen der Beratungs- und Prozesskostenhilfe.

Über die GIESSENER HILFE können keine finanziellen Hilfen vermittelt werden. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht aber die Möglichkeit der Beantragung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz beim Versorgungsamt oder von finanziellen Hilfen durch den Weißen Ring, mit dem wir in geeigneten Einzelfällen auch zusammenarbeiten.

3.2.2. Begleitung zu Behörden, Zeugenberatung, Prozessvorbereitung, Prozessbegleitung

Die Probleme und Ängste infolge einer Straftat können beim Opfer ein starkes Gefühl von Überbelastung, Hilflosigkeit und Antriebslosigkeit bewirken. Daneben führen die für die Betroffenen nur schwer durchschaubaren juristischen Abläufe oft zu großen Schwellenängsten vor Behörden. Auf Wunsch werden sie von den MitarbeiterInnen persönlich zu Polizei, Ämtern oder Gerichtsverhandlungen begleitet.

Eine besonders große Unkenntnis und Unsicherheit besteht oft bei einer bevor­stehenden Gerichtsverhandlung. Die Unterstützung, die wir hier gewähren, umfasst je nach vorliegendem Einzelfall ein breites Spektrum. Sie reicht von einem Informationsgespräch für ZeugenInnen einer Straftat und längerfristigen, stützenden Beratungen für ZeugenInnen, die selbst Opfer sind, bis hin zur Prozessbegleitung und der Nachbereitung des Prozesses.

Je genauer ZeugInnen über gesetzliche und gerichtliche, aber auch über räumliche Bedingungen des Prozesses Bescheid wissen, desto besser können sie sich auf die Situation vor Gericht einstellen, was ihnen einige Angst nimmt. Wir informieren über den Ablauf der gerichtlichen Hauptverhandlung, erklären die Rollen der einzelnen Verfahrensbeteiligten und klären über Rechte und Möglich­keiten auf, mit denen Opfer direkten Einfluss auf den Ablauf der Verhandlung nehmen können.

Darüber hinaus erweist es sich als hilfreich, den Verhandlungssaal, der in der Ladung bekannt gegeben wird, vor dem Prozesstermin gemeinsam anzuschauen oder an einer anderen Verhandlung als Zuhörer teilzunehmen und anschließend mit den KlientInnen über ihre Eindrücke zu sprechen.

Zur Verminderung der psychischen Belastung von ZeugInnen tragen auch gute räumliche Bedingungen bei, die Rückzugsmöglichkeiten für Aufenthaltszeiten im Gerichtsgebäude bieten. Leider gibt es in den wenigsten Gerichtsgebäuden einen Zeugenwarteraum.

Da unsere Räume nah neben den Gerichtsgebäuden liegen, können Opfer­zeugInnen und ZeugInnen mit uns die Wartezeit bis zu ihrer Vernehmung in den Beratungsräumen verbringen, die ihnen bereits vertraut sind.

Häufig wünschen KlientInnen eine Begleitung in den Gerichtssaal, da die Anwesen­heit einer Vertrauensperson zusätzliche Sicherheit vermittelt. Auf vorherige Anfrage beim Vorsitzenden Richter wird fast immer unsere Anwesenheit als BetreuerInnen erlaubt, so dass sie direkt neben den ZeugInnen sitzen und evt. einen Sichtschutz in Richtung des Angeklagten bilden können. Besonders für OpferzeugInnen von Gewaltverbrechen oder Sexualdelikten ist eine sorgfältige Prozessvorbereitung wichtig, um die Belastungsmomente eines Prozesses auf ein erträgliches Minimum zu reduzieren.

Neben einer stützenden Begleitung sind hier wichtige Beratungsziele, Schuld- und Schamgefühle der KlientInnen abbauen zu helfen und ihre Selbstsicherheit zu stärken. Mitunter empfehlen sich dafür Rollenspiele, in denen keine Aussageinhalte, aber bestimmte Situationen vor Gericht durchgespielt werden, und/oder die Vermittlung von Entspannungstechniken.

Verständnislosigkeit und Verletzung der OpferzeugInnen können vermieden werden, wenn es im Vorfeld gelingt, einen Eindruck von Art und Ausmaß der zu erwartenden Fragen zu vermitteln. Hilfreich sind alle Informationen, die das Prozessgeschehen transparenter werden lassen. Dazu gehört auch die Vorbereitung darauf, dass vor Gericht wenig Raum bleibt für die Gefühle der Opfer, dass evt. die Bedeutung des Geschehens für die Opfer bagatellisiert wird und man ihre Aussage zu entkräften versucht. Besonders in Prozessen, in denen es um körperliche oder sexuelle Gewalt gegen Frauen geht, sind die OpferzeugInnen neben den ohnehin schweren Eingriffen in ihre Intimsphäre oftmals zusätzlich von seiten der Verteidigung Angriffen gegen ihre Person und einer Erschütterung ihrer Glaubwürdigkeit ausgesetzt. Nach einer Vernehmung und nach dem Prozess bieten wir die Möglichkeit einer Nachbesprechung und unterstützen bei der Bewältigung seiner Auswirkungen. Besonders dann, wenn ein Urteil nicht wie erwünscht ausfällt, gilt es Schuldgefühlen der ZeugenInnen entgegenzuwirken.

3.2.3. Unterstützung bei der Verarbeitung traumatischer Erfahrungen

Opfer einer Straftat zu werden ist eine traumatische (Trauma, griech. = Wunde, Verletzung) Erfahrung unterschiedlichen Schweregrades. Das Ausmaß der Traumatisierung wächst in der Regel mit der Dauer des traumatisierenden Ereignisses und mit dem Ausmaß der Verletzung der körperlichen Integrität. Die Schwere des Traumas hängt aber auch wesentlich von dem subjektiven Erleben der Betroffenen ab, das mit geprägt ist durch ihre Persönlichkeit und das Erleben früherer Traumata. Auch die Selbsthilfekräfte und Bewältigungsformen, auf die ein Mensch nach einer traumatischen Erfahrung zur Wiedererlangung seines inneren Gleichgewichtes zurückgreifen kann, sind sehr unterschiedlich.

Die Kerngefühle eines Traumas sind Machtlosigkeit und große Angst bis hin zu Todesangst. Plötzliche, überwältigende und gefährliche Situationen zerstören das vor der Tat selbstverständliche Lebensgefühl von Unverletzbarkeit, Sicherheit, Gerechtigkeit und Sinnhaftigkeit. Die Welt erscheint auf einmal bedrohlich. Ein wichtiger Schritt in der Verarbeitung einer Traumatisierung ist die allmähliche Wiedererlangung des Gefühls von Sicherheit und der Abbau von Ängsten.

In der Beratung kurz nach einem traumatisierenden Ereignis geht es zunächst darum, herauszufinden, wie der jeweilige Klient nach seinen besonderen Erfahrungen am besten bei seiner Verarbeitung unterstützt werden kann.

Schließlich werden anhand eines Fragebogens die vorhandenen Stressreaktionen und ihr Verlauf erfasst. Über das Geschehene zu berichten, ist für die meisten Menschen zu Beginn sehr entlastend. Die Beratungssituation bietet hierfür einen besonders günstigen Rahmen, weil die Opfer hier in akzeptierender Atmosphäre neutralen Dritten gegenüber in der Regel eher offen und ausführlich erzählen können, z.B. ohne die Angst, das Gegenüber schonen zu müssen. Damit werden auch die mit dem Ereignis verbundenen Gedanken und Gefühle besprechbar.

Darüber hinaus vermitteln die BeraterInnen Hintergrundinformationen über Traumatisierung und deren Verarbeitung. So finden die Betroffenen auch Erklärungen für eigene, nicht verstandene Reaktionen. Zudem kann ein möglichst umfassendes Verständnis von den eigenen Gefühlen und Verhaltensweisen mitunter das Leiden der Betroffenen mildern.

Schließlich muss noch berücksichtigt werden, dass bestimmte Faktoren im Umfeld des Klienten retraumatisierend wirken können, z.B. wird bei einer Kassiererin nach einem Banküberfall der tägliche Arbeitsplatz immer wieder Bilder und Erinnerungen an den Überfall hervorrufen. Dann sollte besprochen werden, wie bestimmte Maßnahmen getroffen werden können, die vorübergehend oder dauerhaft besseren Schutz oder größere Sicherheit bieten. Vorrangige Bedeutung in dieser Krisenintervention hat die psychische Stabilisierung der Betroffenen. Dabei setzen wir an den Bewältigungsmechanismen an, auf die die Betroffenen selbst bereits bei der Bewältigung früherer Krisen zurückgegriffen haben. Häufig empfiehlt es sich, auch mit Entspannungsübungen und mit imaginativen Techniken zu arbeiten. Sie können eingesetzt werden, um zeitweilige Entlastung zu finden und zur Stärkung des Gefühls von Kontrolle über die eigenen Gedanken, Gefühle und Vorstellungen.

Grundsätzlich ermutigen wir die Betroffenen darin, sich mit dem Geschehenen zu beschäftigen, anstatt es zu verdrängen und helfen dabei, Ausdrucksmöglichkeiten dafür zu finden. Günstigenfalls verliert das Ereignis dadurch allmählich an Schrecken, kann betrauert und als Bestandteil des eigenen Lebens integriert werden.

Gelingt der Prozess der Verarbeitung des Geschehenen nicht, kann sich eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln (engl. PTSD "posttraumatic stress disorder"). Die Betroffenen leiden dann an einem Symptommuster, das geprägt ist von Schlaflosigkeit und Alpträumen, von sozialem Rückzug und depressiver Interessenlosigkeit, von extremer Reizbarkeit und übermäßiger Schreckhaftigkeit. Bleiben die beschriebenen Symptome über einen längeren Zeitraum (ca. 3 - 6 Monate) bestehen, sollte möglichst eine therapeutische Behandlung erfolgen.

In leichteren Fällen einer PTBS behandeln wir die Traumata auch selbst. Eine solche Therapie umfasst ca. 8-15 Gespräche im wöchentlichen oder zweiwöchentlichen Rhythmus. Im Vordergrund steht dabei die Rekonstruktion des Ereignisses, gegebenenfalls das Schließen von Gedächtnislücken. Wir arbeiten dabei mit Hilfe von imaginativen Techniken, verhaltenstherapeutischen Methoden und Entspannungstechniken.

Bei einer schweren PTBS versuchen wir, die Betroffenen an ambulant arbeitende ÄrztInnen/TherapeutInnen oder an stationäre Kliniken zu vermitteln, in denen eine Psychotraumatherapie durchgeführt werden kann. Häufig besteht unsere Aufgabe hier in einer Motivation zur Therapie. Wenn die Betroffenen nicht zu einer psycho­therapeutischen Behandlung bereit sind, bieten wir gegebenenfalls stützende Begleitung an, machen aber gleichzeitig auf die Grenzen dieser Begleitung aufmerksam.

3.2.4. Beratung bei Gewalt gegen Frauen

Knapp ein Drittel unserer Ratsuchenden sind Frauen, die von körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt betroffen sind. Dabei handelt es sich sowohl um sexuelle Gewalt wie Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexueller Missbrauch, Menschenhandel und um häusliche Gewalt, als auch um Körperverletzung, Telefonterror, Belästigung und Bedrohung.

Die Folgen dieser erlittenen Gewalt sind tiefgreifend. Sie reichen von schweren und schwersten körperlichen Verletzungen bis hin zu kurzfristigen und langfristigen psychischen Beeinträchtigungen. Auch einmalig erlittene Traumata wie sexuelle Nötigung und Vergewaltigung führen zu schweren emotionalen Belastungen und mitunter zu langfristigen psychischen Folgen. Die Betroffenen leiden unter lähmenden Ängsten, dem Verlust des Selbst­wertgefühls, Scham- und Schuldgefühlen, Depressionen, auch verbunden mit Suizidalität, und es kann sich eine PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) entwickeln.

In diesen Fällen erfolgt eine Beratung je nach den Erfordernissen im Einzelfall wie in den Kapiteln über Psychotraumatherapie und Prozessbegleitung beschrieben. Die Beraterin nimmt eine klare Haltung zur Gewalt ein, das heißt, sie macht deutlich, dass physische Gewalt sowie die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung unter keinen Umständen gerechtfertigt sind.

Vielschichtig ist die Beratungsarbeit in Fällen von längerfristiger Beziehungsgewalt. Da sich die Traumatisierung hier häufig über einen langen Zeitraum erstreckt, und neben körperlichen und psychischen Verletzungen nicht selten mit sozialer Isolation verbunden ist, sind ihre Folgen besonders tiefgreifend. Häufig erschweren die komplexen emotionalen Beziehungsgeflechte, die in Gewalt­beziehungen herrschen, der misshandelten Frau ein Ausbrechen.

Wir beraten hier gegenwartsbezogen und lösungsorientiert, wobei zunächst die Frage nach der realen Gefährdung der Ratsuchenden im Mittelpunkt steht. Um für die betroffenen Frauen eine umfassende und schnelle Hilfe leisten zu können und gegebenenfalls an Einrichtungen zu vermitteln, die den betroffenen Frauen besser helfen können, ist auch eine intensive Kooperation mit anderen Hilfeeinrichtungen notwendig (siehe unten).

Gegebenenfalls verweisen wir die Klientinnen weiter an Frauenhäuser, Ärztinnen/Therapeutinnen oder an Kliniken für Psychotraumatherapie.

Ergibt sich eine stützende Begleitung in der Beratungsstelle, die sich über viele Wochen oder Monate erstrecken kann, sehen wir unsere Aufgabe in der Stabi­lisierung und in der Begleitung bei Wiederherstellung bzw. Erweiterung der Handlungskompetenz der Klientin. Das kann auch eine Hilfe bei der Veränderung ihrer von Gewalt geprägten Lebenssituation beinhalten. Wir bemühen uns um eine Stärkung des Selbstwertgefühls, der Autonomie und der Selbstverantwortung der Betroffenen und setzen an bei ihren eigenen Ressourcen. Hierbei steht im Vordergrund, die Klientin dabei zu unterstützen, sich den erlittenen Grenz­verletzungen zuzuwenden, ihre eigenen Grenzen wiederzufinden und zu wahren.

Die Dauer einer solchen Begleitung sowie die zeitlichen Abstände zwischen den Beratungsgesprächen sind sehr unterschiedlich. Sie ist abhängig von den Erfor­dernissen und Absprachen im Einzelfall und kann sich von einem Gespräch über mehrere Wochen und Monate und bei langer Dauer des Strafverfahrens auch über 1-2 Jahre erstrecken.

Auf regionaler Ebene nehmen die Beraterinnen der GIESSENER HILFE regelmäßig teil an dem Arbeitskreis "Frauen gegen Gewalt", einem Zusammenschluss von Vertreterinnen aus sozialen Institutionen und Politikerinnen, der organisiert wird von den Frauenbeauftragten des Landkreises Gießen. Mehrmals im Jahr treffen sich die Frauenbeauftragten des Landkreises Gießen und des Lahn-Dill-Kreises und die Beraterinnen der GIESSENER HILFE mit Vertretern von Polizei und Staats­anwalt­schaft mit dem Ziel, die Situation für Frauen, die von Gewalt betroffen sind, zu verbessern. Darüber hinaus erfolgt eine Mitarbeit in dem Arbeitskreis zum Thema "Menschenhandel" des Landkreises Gießen.

3.2.5. Angehörigenberatung

Die Einbeziehung der Angehörigen von Opfern von Straftaten in die Beratung ist unter verschiedenen Aspekten sinnvoll und notwendig. Auch sie sind im weiteren Sinne Opfer des Geschehens, hilflos dem Unglück gegenüber, das vertrauten Menschen geschehen ist.

Zudem sind Angehörige oft verunsichert durch veränderte Verhaltensweisen als Folge der erlittenen Straftat der Geschädigten. In ihren Tröstungsversuchen und ihrer Hilfsbereitschaft fühlen sich Angehörige mitunter sehr hilflos und überfordert. Manchmal kommt es auch zu Abwehrreaktionen, wenn die Betroffenen das Tatgeschehen zum wiederholten Male erzählen.

Damit nahe Bezugspersonen nicht unabsichtlich Dinge sagen oder tun, die Betroffenen in ihren Bemühungen, zum inneren Gleichgewicht zurückzufinden, blockieren könnten, brauchen sie ein tieferes Verständnis für die Situation der Opfer und Informationen über die Verarbeitung traumatischer Ereignisse. Sie können dann das Verhalten der Betroffenen besser einordnen und begreifen leichter den notwendigen Wechsel von Beschäftigung mit dem Geschehenen und dessen Vermeidung.

Des weiteren neigen Opfer von Gewaltverbrechen ohnehin zu Selbstbeschuldigungen, und es würde ihre Stabilisierung sehr erschweren, wenn sie offenen oder versteckten Schuldzuweisungen ihrer nahen Umgebung ausgesetzt wären.

Angehörige nehmen in der Beratung auch gerne einen Raum für sich selbst in Anspruch, in dem sie über ihre eigenen Gefühle, Belastungen und Kränkungen sprechen können.

Ebenso kann bei Angehörigen von Mordopfern eine stützende Begleitung bei der Bewältigung des Geschehens helfen und ihren Trauerprozess erleichtern. Es bietet sich hier bisweilen zusätzlich eine Unterstützung im Strafverfahren an.

3.2.6. Institutionsberatung

Wir sehen unsere Aufgabe auch darin, bei Institutionen, die mit Opfern befasst sind, über die besondere Situation, in der sich Opfer von Straftaten befinden, zu informieren und auf die Gefahr einer Sekundären Viktimisierung hinzuweisen. Darüber hinaus beraten wir MitarbeiterInnen anderer sozialer Einrichtungen zu spezifischen Fragen, die sich allgemein auf Opferbelange oder aber auf Einzelfälle beziehen können.

3.3. Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung

Der "Angebotscharakter" der GIESSENER HILFE sowie die Tatsache, dass professionelle Opferhilfeberatungsstellen wegen ihres relativ kurzen Bestehens noch keinen festen Platz im bekannten Hilfesystem gefunden haben, erfordern eine intensive, breitangelegte Öffentlichkeitsarbeit. Vor allem den betroffenen Opfern sollte die Beratungsstelle nach Möglichkeit schon vorab bekannt sein. Es ist wichtig, die Hemmschwelle bei den Geschädigten immer wieder neu überwinden zu helfen.

Neben Maßnahmen wie Informationsständen, Vorträgen, Zeitungsartikeln und Annoncen, Buswerbung u.ä. gehört besonders das Bekannt machen der Beratungsstelle bei den verschiedensten sozialen Institutionen zur notwendigen Öffentlichkeitsarbeit.

Eine Kooperation und Vernetzung mit anderen Institutionen ist unerlässlich für eine erfolgreiche Beratungsarbeit. Daher haben wir einen regelmäßigen Informations- und Erfahrungsaustausch mit verschiedenen regionalen Einrichtungen, Beratungs­stellen, Anwälten, Gerichten und der Polizei.

Auch der Austausch mit den anderen hessischen Beratungsstellen in Hanau, Wiesbaden und Kassel findet regelmäßig statt.

Die in den letzten Jahren neu entstandenen professionellen Opferhilfe-einrichtungen haben sich seit 1988 zum "Arbeitskreis der Opferhilfen in der BRD" (AdO) zusam­meng­eschlossen. Der ado hat sich u.a. zum Ziel gesetzt, parteilich für die Belange der Opfer - jedoch nicht zu Lasten der Täter - öffentlich Stellung zu beziehen. Über den ado als Mitglied im "European Forum of Victim Services" findet auch eine Vernetzung und Kooperation mit anderen europäischen Opferhilfeeinrichtungen statt.

Kontakt

Opfer- und Zeugenhilfe Gießen

Ostanlage 21

35390 Gießen

Tel. (0641) 97 22 50

Fax (0641) 97 225 16

Mail: info_at_giessener-hilfe.de

Sprechzeiten:
09:00 - 12:00 Uhr
09:00 - 12:00 Uhr
09:00 - 12:00   &   16:00 - 18:00 Uhr
09:00 - 12:00 Uhr
09:00 - 12:00 Uhr